Mein Name ist Lena Koller. Ich bin 20 Jahre alt und studiere an der Medizinischen Universität in Wien. Ich bin einer, jener glücklichen Menschen, die im April die Möglichkeit hatten, in die wunderbare Welt Äthiopiens einzutauchen.
Es war unumstritten eine der schönsten und wertvollsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, aber dennoch sagte meine Schwester, als ich, frisch von der Reise zurückgekehrt, von meinen Erlebnissen berichtete: „Lena… sag mal, du klingst ja überhaupt nicht begeistert? Es wirkt fast, als wäre das die schlimmste Reise deines Lebens gewesen!“. Und erst da realisierte ich, dass mir schon lange nichts mehr so schwer gefallen ist, wie all die verschiedenen und ungewöhnlichen Erlebnisse und Eindrücke in passende Worte zu fassen. Denn nicht mal tausende oder abertausende Worte könnten ihrer gerecht werden.
Der eine oder andere möge sich jetzt wahrscheinlich die durchaus berechtigte Frage stellen, ob es denn wirklich so anders sei, als wir es uns vorstellen und als es in all den Filmen, Büchern und Erzählungen beschrieben wird. Und seltsamerweise müsste ich diese Frage verneinen. Es ist nämlich ganz genau so wie man es sich vorstellt. Es sieht ganz genau so aus, wie das typische Bild, das wir im Kopf haben, wenn das Wort „Afrika“ fällt. Es riecht ganz genau so, wie man es vermuten würde, nach Staub, Rauch, Erde und Tieren. Auch das Essen schmeckt nicht unerwartet, wenn doch sehr anders, als das gewohnte. Ja, sogar die Menschen entsprechen den Erwartungen und erfüllen alle Klischees, die ihnen zugeschrieben werden.
Aber obwohl es genau so war, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es dennoch ganz anders als erwartet und eine völlig neue Erfahrung. Denn etwas zu wissen steht bei weitem in keiner Relation dazu, es zu erleben.
Zu wissen, dass die Menschen dort eine komplett andere Mentalität haben als wir, ist das eine, aber die Freude zu erleben, wenn sie dich beim ersten Aufeinandertreffen mit vor Aufregung glitzernden Augen überschwänglich umarmen und du schon wenige Tage später ein Teil ihrer Familie bist, oder den Frust zu spüren, wenn sie so einfache Dinge, wie Wasserabkochen, auch nach wiederholten Bitten und Erklärungen, warum dies denn notwendig sei, nicht machen, ist ein riesen Unterschied!
So vieles ist dort ganz anders als es bei uns ist; nicht besser und auch nicht schlechter, aber eben ganz anders und deswegen für uns Europäer oft unverständlich. Es wäre eine Lüge zu sagen, dass es immer leicht war, diesem Anderen neutral und nicht urteilend gegenüber zu stehen, aber genau das zu erlernen ist, meiner Meinung nach, unglaublich wichtig. Wichtig deswegen, weil es uns die Möglichkeit gibt, unsere Gesellschaft mit ihren eingefahrenen Denkmustern und Wertvorstellungen, all das was in unseren Köpfen immer schon als richtig oder falsch abgespeichert war, anzuzweifeln und zu überdenken.
Zu sagen: „Wir müssen die Menschen dort ändern! Wir müssen ihnen zeigen wie es richtig geht!“ ist sicher der falsche Ansatz. Ihre Lebensweise zu respektieren und zu akzeptieren, aber zeitgleich die Umstände und das tägliche Leben so zu verändern, dass das Überleben gesichert und Krankheiten verhindert werden können, ist wohl eine der schwierigsten Herausforderungen für uns bei Support Ethiopia.
Im Folgenden möchte ich euch einen möglichst nachvollziehbaren Eindruck von einigen Klischees, deren Erfüllung ich während meines Aufenthalts beobachten konnte, geben:
Ab dem ersten Moment meines Aufenthaltes in Addis Abbeba, der Hauptstadt Äthiopiens, überlegte ich, was diese Stadt denn so grundlegend von allen anderen Städten, die ich kannte, unterschied. Ständig hatte ich das Gefühl es fehlt irgendwas, konnte es aber nicht benennen oder zuordnen. Ich wusste nur, dass ich dieses Fehlen des Undefinierten als sehr angenehm empfand. Nach langem Überlegen kam es mir: diese Stadt ist komplett losgelöst von jeglicher Art von Stress. Und das obwohl sie wohl die geschäftigste und chaotischste Stadt ist, in der ich jemals war.
Unter den Äthiopiern herrscht etwas, das ich jetzt einfach mal Urvertrauen nennen möchte. Dieses Urvertrauen ist etwas unglaublich Schönes und Wertvolles. Es befreit sie von dieser wahnsinnigen Getriebenheit und der ständigen Zukunftsangst, die in Europa Gang und Gebe sind, uns aber oftmals gar nicht mehr auffallen. Doch wider meiner Erwartung habe ich während meines Aufenthaltes in Äthiopien erstmals bemerkt, dass diese Angst und die Rastlosigkeit auch positive Seiten haben. Denn wahrscheinlich haben viele unserer Errungenschaften ihren Ursprung in ihnen.
Eine andere Situation, die mich sehr stutzig gemacht hat war folgende:
Als wir eines abends, nach einem sehr turbulenten und lustigen Tag am Markt, gemütlich mit unserer Gastfamilie um das Feuer saßen und Injera mit Linsen aßen, wurde mir auf einmal sehr schlecht. Schnell ging ich vor die Tür und… naja sagen wir so der Hund hatte seine Freude… Schnell war mir klar, dass es sich um einen Sonnenstich handeln musste. Auch meine Gastmama merkte gleich, dass es mir nicht gut ging, und versorgte mich liebevoll mit heißem Tee und einer Schüssel. Leider ging es mir auch am nächsten Tag noch nicht viel besser und ich beschloss vorerst in meinem Zimmer zu bleiben und zu schlafen. Einige Zeit später wachte ich auf und bemerkte zu meinem Schrecken, dass fünf Äthiopier in meinem Zimmer standen und mir beim Schlafen zusahen. Doch in meinem Zustand hatte ich nicht die Kraft mich weiter darüber zu wundern und noch ehe ich mich versah, war ich auch schon wieder eingeschlafen. Plötzlich erwachte ich abermals. „What’s your name? How old you? How’s air condition?“, (letzteres war die gängige Version für „Wie ist das Wetter denn heute?“). Verwundert blickte ich ins Gesicht eines jungen Äthiopiers, der unablässig diese 3 Fragen wiederholte. (Wahrscheinlich weil es die einzigen englischen Phrasen waren, die er kannte, und er sich schlichtweg mit mir unterhalten wollte.) Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment sehr verärgert und genervt war, da es mir offensichtlich nicht gut ging, und es für mich einfach ein zu großer Eingriff in meine Privatsphäre war. Jeden Europäer, der das gemacht hätte, hätte ich für pervers und verrückt erklärt.
Erst ein paar Tage später realisierte ich, dass dieses Verhalten daher rührte, dass es Privatsphäre in der Form, in der wir sie gewöhnt sind, in Äthiopien einfach nicht gibt. Wie denn auch, wenn die Menschen Nacht für Nacht zu fünft in einem Bett schlafen und es nicht einmal am Klo eine Türe gibt? Andererseits zeigte sich diese fehlende Distanz in einer unbeschreiblichen Herzlichkeit. Es war ganz normal für mich, mit den Dorfältesten Händchen zu halten oder beim Lagerfeuer im Arm meiner Gastschwester zu sitzen. Dieser liebevolle Umgang und der ungezwungene, alltägliche Körperkontakt gehen mir hier, in unserer Welt, in der es angebracht ist, sich zu entschuldigen, wenn man unabsichtlich den Fuß eines anderen berührt hat, unglaublich ab.
Ich könnte euch noch so viele weitere Beispiele für dieses wunderbare Anderssein bringen, aber leider würde das den Rahmen dieses (eh schon viel zu langen) Blogeintrags sprengen.
Abschließend kann ich nur sagen: Die Zeit in Äthiopien war für mich bei weitem eine der schönsten und lehrreichsten meines bisherigen Lebens und ich freue mich schon unglaublich darauf, bald wieder Teil des afrikanischen Lebens zu sein. Denn auch wenn das jetzt ein wenig kitschig und überzogen klingt, habe ich mich selten zuvor so zuhause und angekommen gefühlt, wie in Äthiopien.